80.000 Menschen in einem "Gefahrengebiet" unter Generalverdacht, Ausnahmezustand in vier Stadtteilen, eine Polizeiführung, die lügt, eine Polizeigewerkschaft, die Schusswaffeneinsatz fordert, und ein Innensenator, der nirgendwo politische Probleme erkennen kann – Hamburg hat sich in diesen ersten Tagen des neuen Jahres auf atemberaubende Weise gehäutet. Wo vorher eine weltoffene Hafenstadt mit liberaler Tradition zu sein schien, kommt nun ein autoritärer Stadtstadt zum Vorschein, der einiges mit dem Istanbul unter Erdogans AKP gemein hat.

Nicht wenige Bürger sind darüber schockiert. Andere wissen es schon lange: Der autoritäre Stadtstaat Hamburg ist nicht über Nacht entstanden, und schon gar nicht im Gefolge der Ausschreitungen um eine von der Polizei verhinderte Demonstration am 21.12.2013. Er existiert schon seit Jahren. Und zwar unabhängig von der politischen Färbung ihrer Senate: Ob Schwarz alleine oder Rot alleine, ob Schwarz-Schill oder Schwarz-Grün, alle haben immer auch mit dem Polizeirecht durchregiert – seit 2005 erlaubt es die „Gefahrengebiete“ –, wenn die politischen Beruhigungspillen nicht mehr wirkten.

Denn die größte Plage sind für die Senate nicht etwa die immer teureren Mieten, ausufernder Leerstand, rassistische Kontrollen von Migranten und Flüchtlingen durch eine eigenmächtige Polizei, Neonazi-Aufmärsche, die Geldverbrennung in sinnlosen Großprojekten oder die Privatisierung von städtischem Eigentum und öffentlichem Raum. Die größte Plage sind ihnen die Stadtbewohner, die auf diese Missstände hinweisen, die sich dagegen wehren, die ihre Stadt selbst gestalten wollen, weil sie unglaublicherweise die Idee vom „mündigen Bürger“ ernst genommen haben, weil sie sich als freie Menschen betrachten.

Für eine politische Klasse, die seit 30 Jahren die Stadt als Unternehmen im Konkurrenzkampf um Kapital, „Leistungsträger“, Touristen und Imagepunkte betrachtet, geht so viel zivilgesellschaftlicher Eigensinn gar nicht. Keine Konzernführung lässt sich schließlich von seinen Fabrik- und Lagerarbeitern in die Unternehmensstrategie reinreden.

Die sieht für Hamburg vor, Stadtteile zu „Business Units“ umzubauen: St. Pauli wird zum durchgestylten Entertainment-Park; Wilhelmsburg zur Erlebnis-Ausstellung für ein Schöner-Wohnen in einer Flusslandschaft; Altona zu IKEA-Town und damit zum Brückenkopf eines Global Player, der begonnen hat, ganze Stadtteile selbst zu bauen – wenn auch vorerst nur in Frankreich und in Großbritannien.
Bebauungspläne werden für die Investoren maßgeschneidert, wenn diese sie nicht gleich selbst aufstellen dürfen, wie im Falle der Esso-Häuser vorgesehen. Die Bewohner beruhigt dann eine private Quartiersmanagement GmbH, wie im Falle des Business Improvement Districts Reeperbahn vorgesehen. Die Stadt privatisiert ihre politischen Aufgaben, Stadtplanung wird zum Joint-Venture zwischen Unternehmen, von denen eines Hamburg heißt.

In so einer Stadt sind natürlich keine Flüchtlinge willkommen, die es aus den Elendsquartieren und Kriegsgebieten am Rande der Festung Europa hierher geschafft haben, weil sie für das Unternehmen Stadt keinen Mehrwert mitbringen. Also verwahrt es die Flüchtlinge in Containern und regelrechten Internierungslagern, bis es sie wieder in „Drittstaaten“ abschieben kann. Die derzeit „modernste Flüchtlingspolitik“ in Deutschland sieht der Erste Bürgermeister darin – derselbe Mann, der schon 2001 den Brechmitteleinsatz gegen mutmaßliche Dealer modern fand. Die vermutete die Polizei damals zuerst unter Menschen afrikanischer Herkunft. Auch Racial Profiling hat in Hamburg Tradition.

Der Erste Bürgermeister und sein Senat sind zudem mit einer erstaunlichen Machtfülle ausgestattet, die sie den Nazis verdanken. Im Großhamburg-Gesetz von 1937 wurde Hamburg zur „Einheitsgemeinde“. Das bedeutet: Die Bezirke sind keine eigenständigen Kommunen, und wenn dort die Bewohner mit einem Bürgerbegehren der Politik einen Strich durch die Rechnung machen, kann der Senat die Entscheidung der Bewohner für null und nichtig erklären. Das tut er regelmäßig, auch hier unabhängig von der politischen Färbung des Senats.

Wenn es darum geht, soziale und städtebauliche Missstände anzugehen, muss man den Senat und seine bezirklichen Handlanger jedoch zum Jagen tragen. Eigentümer lassen Häuser verfallen, bis sie abbruchreif sind? Da kann man nichts ändern, die Gesetzeslage lässt keinen Handlungsspielraum zu, heißt es. Die Mieten steigen und steigen? Da kann man nichts ändern, die Gesetzeslage lässt keinen Handlungsspielraum zu, heißt es. Auch beim Bleiberecht für Flüchtlinge nicht. Bei neuen Befugnissen für die Polizei hingegen ist erstaunliche gesetzgeberische Kreativität zu erkennen, da geht eine Menge.

Die eingangs gestellte Frage ist längst beantwortet:

Eine Stadt, in der mit dem Polizeirecht regiert wird, ist nicht in guten Händen.

Eine Stadt, in der über 80.000 Menschen der Ausnahmezustand verhängt wird, ist nicht in guten Händen.

Eine Stadt, in der Flüchtlinge interniert und abgeschoben werden, ist nicht in guten Händen.

Eine Stadt, in der Leerstand in Ordnung ist, Besetzungen von Leerstand hingegen kriminalisiert werden, ist nicht in guten Händen.

Eine Stadt, die von ihrem politischen Personal als Konzern geführt wird, ist nicht in guten Händen.

Eine Stadt, in der Bewohner nur zu verwaltende Objekte in der Konzernstrategie sind und nichts zu sagen haben, ist nicht in guten Händen.

Kurz gesagt: Hamburg ist nicht in guten Händen.

Und daran wird sich auch nichts ändern, wenn bei der nächsten Wahl der Senat eine andere Farbe bekommt. Ein Rücktritt der Hardliner Neumann, Kopitzsch und Born ist zwar dringend nötig, aber wir sollten uns keine Illusionen machen: Der Saustall des autoritären politischen Systems in Hamburg ist auch mit sämtlichen Klobürsten aus dem „Gefahrengebiet“ nicht mehr auszumisten.

Es muss ganz anders werden. Hamburg gehört in die Hände seiner Bewohnerinnen. Hamburg muss überhaupt erst einmal eine demokratische Stadt werden, und eine Stadt, die sich das Etikett „weltoffen“ noch verdienen muss. Das Recht auf Stadt muss für alle gelten, ohne Grenzen, ohne Einschränkungen.

Solange dies nicht der Fall ist, wird in Hamburg keine Ruhe mehr einkehren.


So könnte es anders werden: Hamburg 2022 - Stadt der Commons   

nbo, 14.1.2014, CC BY-SA.




Be careful when using Twitter, Facebook, Google etc. Check your privacy settings. Turn off localisation.